Oktober 2003
Ein Jahr ist es her. Was für ein Jahr. Ein furchtbares Jahr. Ein schönes Jahr. Das intensivst erlebte Jahr meines Lebens.
Am 22.10.2002 saß ich morgens an meinem Schreibtisch im Büro und konnte an nichts anderes denken, als an Severin. An den Augenarzt, der uns nach Haus schickte mit einem Termin in der Augenklinik für Dezember- sechs Wochen später. So lange konnte ich nicht warten. Ich machte vom Büro aus einen Termin für Severin bei seiner Kinderärztin für nachmittags. Sinah kam mit zu dem Termin. Die Ärztin hat Severin angeschaut, ihn einmal auf einer Linie laufen lassen und dann beide Kinder zurück ins Wartezimmer geschickt und wurde dann ganz still und blass. Sie kennt mich und Severin seit seiner Geburt. Und sie hat nur gedacht: "Nicht noch ein Kind". Als sie mir sagte, dass sie einen Hirntumor vermutet, war das für mich keine Überraschung. Ich wußte, dass etwas sehr schlimmes los sein mußte mit ihm. Severin war nicht mehr das Kind wie noch im Sommer. Ich hab sie nur gefragt: "Wo gehe ich am besten mit ihm hin?" Als Sinah mit drei Monaten wegen einer obstruktiven Bronchitis ins Krankenhaus eingewiesen wurde, hab ich geweint, vor einem Jahr am 22.10. hab ich nicht geweint. Ich habe es einfach nur gewußt.
Ich habe dann Sinah zu unserer Kinderfrau gebracht und meinen Mann zuhause informiert. Severin hat getobt, wie noch nie zuvor. Er schmiss Gegenstände durchs Zimmer, weinte laut und wollte absolut nicht in die Klinik. Keine Zeit für meine eigene Panik. In Köln angekommen, fragte der Arzt, ob ich wüßte, was auf der Überweisung stehe. Natürlich wußte ich das. Wir wurden auf die onkologische Station gebracht (nach Aussage des Arztes, weil kein anderes Bett frei war - glaubhaft???). Ich vergesse diesen ersten Abend auf Station nie. Allein mit Severin in diesem Zimmer, alles fremd, fremde Menschen, Schwestern, fremde Umgebung und Angst. Ich vergesse nie, die liebevolle Art einer Schwester, bemüht darum, Severin den Aufenthalt schmackhaft zu machen. Noch heute verbindet mich mit dieser Schwester eine besondere Dankbarkeit für diesen Moment.
Als Severin am 23.10. das erste Mal im MRT lag, brach meine Selbstbeherrschung das erste Mal für kurze Zeit. Als die Untersuchung beendet war, wußte ich alles. Ich konnte es in den Gesichtern lesen. Der Anästhesist, die Assistentin, der Radiologe, keiner konnte mir etwas vormachen. Die Bilder waren nur noch ein Beweis dafür, dass es wirklich stimmte, was ich schon längst wußte und das Ding bekam einen Namen: PONSGLIOM - so lautet der Name für das, was bis dahin nur noch keinen Namen hatte, aber längst da war.
Heute - ein Jahr später. Wir waren wieder auf Station für die nächste Impfung. Vieles ging mir durch den Kopf.
Ein furchtbares Jahr. Kinder starben in diesem Jahr, Kinder die wir kannten, deren Eltern wir teilweise gut kennen. Ein Jahr Angst, Traurigkeit, Anspannung, Entsetzen. Ein Jahr Therapie. 3 Ops, Chemoblöcke, Bestrahlung, Überdosis, zahlreiche MRT-Untersuchungen, unzählige Blutabnahmen, Schmerzen.
Ein schönes Jahr. Innige Freundschaften entstanden. Eine Beziehung zu meinen Kindern, die nicht schöner sein könnte. Ein wunderschöner Sommer, was haben wir alles erleben dürfen mit Severin und Sinah. Wieviel ehrliche Unterstützung habe ich erfahren in diesen Monaten. Glück, Hoffnung, Liebe.
Das intensivste Jahr meines Lebens. Was ist wirklich wichtig? Auseinandersetzungen mit Gedanken, die vorher keinen Platz hatten in meinem Leben. Sterben, Tod, Krebs aber auch Freundschaft, Glaube und Liebe.
Und es geht weiter. Mit Hoffnung und Liebe werden wir diesen Kampf weiterleben.
Auch die Impfung in dieser Woche ist ohne Nebenwirkunen überstanden. Severin machte laut eigenen Worten "Urlaub auf Station". Keine Probleme. Viel mehr noch. Er wird nach den Herbstferien das erste Mal wieder die Schule besuchen. Für einige Stunden am Tag. Und ich werde wieder arbeiten (ab Dezember voraussichtlich). Und nochwas: Severin geht im kommenden Jahr mit zur Kommunion. Vieles auf das wir uns freuen können. Jeder einzelne Tag ist es wert, weiterzumachen, nicht aufzugeben.
November 2003
Ein ereignisreicher Monat liegt hinter uns. Severin besucht wieder die Schule, für jeweils drei Stunden am Tag. Er wechselte in die Nachbarklasse, die von seiner Hauslehrerin geleitet wird. Das war eine goldrichtige Entscheidung. Er fühlt sich sehr wohl, geht super gerne hin, hat bereits neue Freundschaften geschlossen und kommt auch leistungsmäßig prima mit. Manchmal denke ich, wie wäre dieses Kind ohne Bestrahlung? Es ist schon erstaunlich, was er alles schafft, wenn man seine Geschichte kennt.
Mitte November fand die vorerst letzte Impfung mit dendritischen Zellen statt. Auch diesmal wieder ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Die Tage auf Station waren sehr intensiv, Severin genoss seinen Urlaub. Er besuchte ein Eishockey Spiel der Haie in Köln mit anderen krebskranken Kindern. Ein richtig gelungener Abend für die Kids. Dank an den Förderverein in Köln.
Ende November kamen dann die Geburtstage unserer Kids. Sinah hatte sehr genaue Vorstellungen, wen sie einladen möchte und wen nicht, welcher Kuchen es sein sollte und wie gefeiert wird. Ich denke, wir haben diesen Geburtstag und die Feier ein paar Tage später, die für beide (Severin und Sinah) stattfand mit 13 Kindern in der Pirateninsel in Brühl schön gestaltet. Sinah hat es genossen und die anderen Kids wohl genauso.
Severins Geburtstag war dann schon außergewöhnlich. Schaut dafür mal auf die Seite der Highlights. Er hatte wirklich volles Programm. Ging morgens zur Schule, anschließend Logopädie, Reiten nach Mittag und abends: Bläck Fööss. Er ist total erledigt um halb zwölf ins Bett gefallen und muss wohl super gut geträumt haben.
Die Adventszeit hat begonnen. Ich werde versuchen, sie für unsere beiden Mäuse besinnlich und schön zu gestalten, mit Plätzchen backen, Weihnachtsmarktbesuchen und was sonst so dazugehört. Ich freue mich auf Weihnachten, wie noch in keinem Jahr und habe doch mächtig Angst davor. Diese Feiertage sind schon was Besonderes für uns.
Dezember 2003 Weihnachten
Im November wurde auf den MRT-Bildern eine Veränderung festgestellt und man war sich nicht sicher, um was es sich dabei handelt. Der Tumor schien leicht vergrößert und es fanden sich zwei neue Schatten. Um genaueres zu erfahren, sollten die Bilder vier Wochen später wiederholt werden.
Wir haben diese vier Wochen ganz gut hinter uns gebracht denke ich. Ich hatte viele Gespräche mit ganz lieben Menschen, die mir gut getan haben - auch wieder in dieser Zeit des Wartens. Severin wusste nichts davon, weil es sich einfach nicht so ergeben hatte. Die erste Aussage des Radiologen, die ich an ihn weitergegeben habe, war, dass sich nichts geändert hat. Es gab für mich keine Veranlassung, ihm die Neuigkeiten zu berichten, dass es anders aussieht. Eine schwierige Entscheidung, aber ich denke die richtige. Es geht ihm weiterhin so gut, es gibt keinerlei neue Symptome und ich hätte ihm einfach eine schwere Last aufgelegt, die noch nicht sein muss.
Das diesjährige Weihnachtsfest war sehr schön für uns alle. Durch Severins Kommunionsunterricht sind wir viel intensiver mit dem eigentlichen Sinn der Weihnacht in Berührung gekommen und das tat richtig gut. Wir haben einige Gottesdienste besucht, die mir gut getan haben. Am Heiligenabend gab es für die kleinen Kids wie Sinah erst ein Krippenspiel und anschließend den Kindergottesdienst für die Großen, in dem Severin sein Dankgebet vorgetragen hat. Ich bin mächtig stolz auf ihn, dass er das so ohne Lampenfieber und einfach bravourös schafft. Originalton Severin: Wer von 800 Leuten singen kann, schafft das locker!
Ich habe die Schlaflieder gegen Weihnachtslieder ausgetauscht, auch das gefiel unseren Mäusen sehr.
Geschenke gab es natürlich auch, und die sind richtig gut angekommen bei den beiden. Und wir haben Menschen an Weihnachten gesehen, die für uns wichtig sind.
Die neuen Bilder kurz vor Weihnachten ergaben dann keine Veränderung zu denen im November. Und eigentlich wissen wir jetzt auch noch nicht viel mehr, wie vorher. Es ist zwar eine Veränderung da, aber was das genau ist, kann keiner so genau sagen. Ich gewöhne mich so langsam an diesen Schwebezustand.
Neu war, dass die Bilder nicht in der Uni gemacht wurden, sondern in einer niedergelassene Praxis und dass Severin das erste Mal wach in die Röhre geschoben wurde. Severin hat das ganz gut verkraftet, sehr gut sogar, wenn ich an die Umstände in dieser Praxis denke. Das war schon das allerletzte und so ziemlich die mieseste Behandlung die ich bislang von Ärzten erfahren habe.
Sylvester war rundum gelungen. Morgens sind wir zum zweiten Mal zum Sternensingen aufgebrochen. Ziemlich anstrengend ein paar Stunden von Haus zu Haus zu ziehen, zu singen und um Geld zu bitten. Doch Severin und Sinah haben prima mitgezogen und hatten richtig Freude daran. Eigentlich dachte ich, beide seien so platt, dass sie Mitternacht verschlafen würden. Doch weit gefehlt. Im Fernsehen kamen unsere Bläck Fööss und anstatt zu schlafen, haben wir vorm Fernseher laut mitgesungen, geklatscht und getanzt. War richtig schön. Severin geriet bei jedem Lied, dass er noch vom Konzert kannte aus dem Häuschen. Sinah hatte dann anfangs etwas Angst vorm Feuerwerk aber nach der dritten vierten Rakete staunten beide nur noch: Wie schöööön!
Das zurückliegende Jahr war anstrengend und schön und traurig zugleich. Ich danke allen, die es unermüdlich schaffen, uns weiter zur Seite zu stehen, jeder auf seine Art und Weise. Ohne Euch hätten wir keine Chance. EUCH ALLEN VON HERZEN EIN GESUNDES 2004. Bleibt so wie ihr seid.
Januar 2004
Es gibt eigentlich nicht viel zu berichten und das ist vielleicht das schönste an allem. Wir haben einen herrlich normalen Januar hinter uns. Severin ging zur Schule, traf sich mit seinem Freund nachmittags, nahm seine Reitstunden und genoss es einfach fast ein normales Kind zu sein.
Und wir hatten die Chance, ein bischen aufzutanken. Einfach die Tage so zu nehmen wie sie sind und jeden Tag zu leben und zu geniessen.
Jetzt steht Karneval vor der Tür. Wir haben große Pläne. Die Kids sind eingeladen auf einem Planwagen am Zooch von Jan-von-Werth an Weiberfastnacht teilzunehmen und an unserem traditionellen Zooch am Sonntag sollen wir auch auf dem Wagen mitfahren.
Vorher muss aber noch einiges abgeklärt werden. Severin hat einen mächtigen Husten zur Zeit und auch die Symptome - wie Gleichgewicht und ähnliches sind leider schlimmer geworden. Das zwingt uns erstmal einen Check in der Uni vornehmen zu lassen, um zu sehen, was wirklich los ist.
Ihr lieben da draußen, ich weiß nicht, wann ich hier wieder berichten kann, aber ich bitte euch alle, denkt an uns und drückt uns die Daumen und für diejenigen, die das können: Betet für uns mit.
Februar 2004
Freitag, 05.03.04
Ich telefonieren mit einem Prof. in Berlin, der mir sagt, ich solle meinen Sohn nicht aufgeben. Er hätte noch eine Reihe Therapiemöglichkeiten. Dafür müssten wir nach Berlin, um eine Entlastungs-OP der hinteren Schädelgrube machen zu lassen. Ich bin wieder hin und her gerissen. Morgen will er wieder anrufen. Wir entscheiden abends, nach Berlin zu fahren, wahrscheinlich am Sonntag.
Samstag, 06.03.04
Die Tage werden eher schlimmer als besser; Heute erbricht er ständig, behält nichts mehr bei sich, hat fürchterliche Kopfschmerzattacken. Der Prof. meldet sich nicht. Es steht in Frage, ob wir es nach Berlin schaffen. Ich telefoniere mit der Psychologin der Uni und versuche den Onkologen der Uni zu erreichen.
Sonntag, 07.03.04
Severin wacht mit Brechen und fürchterlichen Kopfschmerzen auf. An eine Fahrt nach Berlin ist nicht zu denken, stattdessen fahren wir in die Uni. Er bekommt sofort Cortison per Perfusor und es geht ihm merklich besser. Die Brecherei hört auf und auch die Kopfweh werden weniger.
Montag, 08.03.04
Am Nachmittag bespreche ich mich mit dem Onkologen und dem Neurochirurgen. Beide raten dringend von einer Entlastungs-Op ab. Die Folgen seien verheerend. Helm tragen müssen, Deformierung des Kopfes, mögliche Fistelbildung, Liquoraustritt an der Wunde. Auch unter gutem Verlauf der OP sei kein normales Leben mögich und wie lange die OP erfolg bringt, ist zweifelhaft. Das moderne Mittel hierfür sei Cortison. Es soll ein Notfall-CT am nächsten Tag gemacht und dann erneut entschieden werden.
Dienstag, 09.03.04
Das CT findet nicht statt. Warum ist nicht völlig klar. An diesem Vormittag stirbt Abdullah auf Station. Wir kannten ihn seit Beginn unserer Therapie. Was haben wir uns über seine Fortschritte gefreut; dann das Rezidiv vor einigen Wochen. Die Familie ist außer sich, trauert. Auch dadurch gerät unser CT in Vergessenheit und soll am nächsten Morgen nachgeholt werden. Stattdessen will man, ohne mit mir vorher zu sprechen, Morphin anhängen. Ich weigere mich und will erst eine Erklärung.
Mittwoch, 10.03.04
Nach Beratung mit dem Onkologen, willige ich ein, Morphin anhängen zu lassen.
Wir gehen um 10.00 zum CT. Eine Stunde warten auf einem zugigen Flur, dann wird festgestellt, es gibt keine schriftliche Anforderung. Jemand bringt sie von Station. Dann kommt ein Radiologe und meint, er habe mit Station und dem Neurochirugen abgesprochen, dass ein MR sinnvoller sei. Das könne in den nächsten 10 20 Minuten gemacht werden. Severin weigert sich. Severin hat nicht zu Ende frühstücken können und aufgrund des Cortisons Hunger ohne Ende, seine Laune leidet auch mittlerweile unter dem Cortison. Ich verweigere das MR zu dieser Uhrzeit. Wir gehen zurück auf Station und Severin bekommt McDonalds gebracht. Das MR findet dann gegen 13.15 Uhr statt. Bei der Visite im Anschluss teilt man mir mit, der Tumor ist gewachsen, das Ödem auch und es bestehe keine Notwendigkeit für einen Eingriff.
Eine Stunde später kommt der Neurochirurg und zeigt mir die Bilder. Es liegt eine massive Liquorabflußstörung vor, d.h. die Ventrikel sind extrem geweitet und das Hirnwasser kann nicht mehr abfließen. Eine klassische medizinische Indikation für einen Shunt. Ich berate mich mit dem Neurochirurgen, der Psychologin und mit den Onkologen. Lassen wir den Shunt nicht legen, verstirbt Severin kurzfristig an dieser Liquorstauung. Lassen wir diese Ableitung in OP machen, hat er eventuell noch einige kopfschmerzfreie Tage. Es ist keine Heilungs-OP, nur eine Möglichkeit Entlastung der Kopfschmerzen.
Donnerstag, 11.03.04
Wir entscheiden, die OP machen zu lassen. Severin wird gegen 12.00 Uhr operiert und ist gegen 14.30 Uhr wieder zurück auf Station. Für seinen doch schon geschwächten Zustand übersteht er die Op gut, ist wach, kann auf Toilette. Das Cortison wird abgesetzt. Seine Psyche leidet immens darunter. Er ist depressiv, launisch und motzig.
Freitag, 12.03.04
Keine Kopfschmerzen mehr, dafür ist er weiter sehr depressiv, das ändert sich leicht am Nachmittag. Wir sollen morgen nach Hause. Man will uns wohl damit was gutes tun, ich weiß nicht, wo wir besser aufgehoben sind.
Samstag, 13.03.04
Severin ist müde morgens, erbricht nachdem er auf Toilette war und schläft wieder. Wir gehen trotzdem nach Hause. Im Auto denke ich, ich fahre jetzt einfach endlos lange weiter, bis er eingeschlafen ist. Im Auto ist er traurig, weil er es mir so schwer macht, sagt er. Ich entgegne, dass es zwar schwer ist, aber dass er das nicht Schuld sei. Er fragt mich kurz drauf, ob ich auch so froh wie er sei. Ich frage wieso froh. Er sagt, weil er froh ist, dass ich das ales für ihn mache. Seine Stimmung ist umgeschlagen: Von endlos motzig und patzig, zu dankbar und versöhnlich. Dieses Martyrium für meinen kleinen Mann ist kaum zu ertragen. Doch wir kommen heil zu Hause an. Severin schläft bis abends, lässt niemand außer mich an ihn heran. Abends wird er munterer und schaut fern. Er verteidigt mich, sobald er meint, jemand kritisiere mich.
Sonntag, 14.03.04
Schon morgens ist er wesentlich munterer wieder. Ich dusche ihn, doch auf dem Weg ins Erdgeschoss bricht er, wohl vor Anstrengung. Den Rest der Treppe trage ich ihn. Mittags fahren wir dann mit dem Rolli in die Eisdiele. Er isst ein Eis und trinkt eine Cola. Anschließend mit dem Rolli zu Oma. Zu Hause angekommen, spielen wir. Beim Spiel meint er, früher war es schön, als er noch in der Schule an Weihnachten gebastelt hat. Anschließend gibts was von MC Donalds. Ich schwöre, ich rühre das Zeug bald nicht mehr an.
Der Zugang geht in der Nacht para, d.h. die Flüssigkeit läuft in seine Hand und nicht mehr in die Vene und ich ziehe die Nadel. Mittags versuchen wir vergeblich einen neuen Zugang zu legen - die Venen sind einfach zu schlecht. Abends die Fäden von den Shunt-Op-Narben gezogen. Am Mittag entfacht eine Diskussion zur Flüssigkeitsgabe und der Frage was, wann zu geben Sinn macht. Das schlaucht mich total.
Ich beschließe dann abends, doch den Zugang legen zu lassen. Severin hatte zwar so 300 ml getrunken, aber das reicht nicht und auf die Dauer schafft er das auch nicht mehr.
Donnerstag, 25.03.04
Wir schaffen es erst am Nachmittag vom Schlafzimmer nach unten und auch da döst er weiter vor sich hin. Er ist einfach fast den ganzen Tag müde. Und hat auch wieder dreimal heute gebrochen, immer nur Galle.
Freitag, 26.03.04
Heute wollte Severin gar nicht mehr nach unten, sondern lieber oben im Bett liegen bleiben, weil es da so gemütlich ist. Gegen Mittag bekam er Besuch, wie jeden Tag. Mit seiner Lehrerin hat er sich dann auch alleine unterhalten. Doch am Nachmittag als Besuch kommt ist er wieder schläfrig und macht kaum die Augen auf. Zusätzlich zum Morphin – Pflaster war heute nur eine Gabe Morphin-Tropfen nötig. Gegen Abend wurde er wieder wacher.
Samstag, 27.03.04
Wir schaffen es schon am Vormittag ins Wohnzimmer und Severin ist wacher als die Tage vorher. Er braucht zwischendurch dreimal Morphin-Tropfen. Abends wartet er bis ich Papa ablöse und schläft nach seiner Geheimnis-Geschicht , die ich ihm seit ein paar Tagen abends vorlesen soll, ruhig ein.
Sonntag, 28.03.04
100. Geburtstag. Ich lese ihm alle Karten vor, die für ihn gekommen sind und er griemelt sogar über eine ganz besondere. Er ist mittags eine ganze Weile sehr orientiert, aber schläft dann auch den ganzen Nachmittag bis zum Abend im Wintergarten. Gegen Abend zeige wir ihm sein Geschenk, eine Autobahn von Hot Wheels, die er sich immer gewünscht hat. Kommentar mit Lächeln im Gesicht: „Cool“. Doch Auspacken brauchen wir sie nicht mehr. Abends bringen wir ihn in unser Bett, wie all die Wochen vorher und er schläft die Nacht ganz ruhig.
Montag, 29.03.04
Als ich morgens wach werde, denke ich, dass Severin seltsam atmet und hole erst mal das Inhaliergerät. Doch nach dem Inhalieren erbricht er und kann nicht mehr abhusten. Ich rufe den Pflegedienst an, der uns ein Absauggerät in Windeseile besorgt. Bevor das geliefert wird, will ich Severin auf die andere Bettseite lagern, dadurch erbricht er wieder und ich hab Angst, dass er daran erstickt. Doch es geht gut. Das Absauggerät kommt, doch das Absaugen klappt fast kaum, ein klein wenig kann abgesaugt werden, aber es bringt kaum Erleichterung. Wir ordern ein Sauerstoffgerät dazu, was auch schnell ankommt. Der zusätzliche Sauerstoff lässt Severin ruhiger werden. Doch das Röcheln und Rasseln ist weiterhin laut vernehmbar. Er scheint die ganze Zeit wach zu sein, kann uns sagen, ob er abgesaugt werden möchte, ob es ihm zu kalt oder zu warm ist, ob er Pipi machen muss. Gegen Nachmittag öffnet er die Augen noch sobald jemand ins Zimmer kommt und einmal ruft er nach mir, als ich eine Rauchen bin. Zwischenzeitlich habe ich meinen Mann informiert, der gleich zur Stelle ist. Wir beschließen keine weitere Glucoselösung mehr durch den Zugang laufen zu lassen. Ich sage ihm, dass ich ihn liebe und dass er gehen darf. Severin bekommt fast stündlich zusätzlich zum Morphin-Pflaster auch Morphin-Tropfen, die ihn ruhig weiterschlafen lassen.
Dienstag, 30.03.2004
Gegen 1.00 Uhr hat er eine lange Atempause, so dass wir schon denken, er hat es geschafft. Doch nach einer schier unendlich langen Zeit, fängt er wieder an zu atmen - was man so atmen nennt, in diesem Zustand ein lautes Röcheln und Rasseln. Um 5.20 Uhr hört er auf zu atmen.
Wir waschen ihn zusammen mit meiner Freundin, die die Nacht bei uns verbracht hat, ziehen ihm seine Lieblingssachen an und ich trage ihn ins Erdgeschoss in unser Wohnzimmer. Es kommen im Laufe des Tage so viele liebe Menschen, um sich persönlich von Severin zu verabschieden. Für mich war das sehr wichtig, mir tat es gut, ein Teil der Menschen bei mir zu haben, die für uns so wichtig sind. Um 16.40 Uhr wird Severin von zu Hause abgeholt.
Und es wird dann auch eine würdige und schöne Abschiedsfeier für Severin, an der rund 300 Menschen teilnehmen. Die Messe gibt mir Ruhe und Kraft für die Stunden danach. Ich freue mich über jeden, der uns auf Severins letztem Weg begleitet und hätte so gern mit jedem persönlich gesprochen. Das hat leider nicht geklappt.
Wir hatten vorher bereits eine schöne Stelle für ihn ausgesucht, direkt an einer Pferdekoppel.
Einige der Texte der Abschiedsfeier werde ich noch auf die Homepage setzen, weil sie für mich so viel Bedeutung haben. In der Trauerhalle lief Severins Lieblingslied "Land der Träume" von Tom Lehel und am Grab ließen wir 100 blaue und weiße Luftballons steigen - die bestimmt bis nach Schalke geflogen sind. Ein Meer von bunten Schmetterling ziert jetzt sein Grab - es ist ein Ort der Ruhe für mich zur Zeit.
Severin ist jede Sekunde meines Daseins bei mir. Wir bekamen zahlreiche Beileidskarten, ich habe jede einzelne gelesen und mich gefreut, wieviele Menschen Anteil nehmen. Es waren einige ganz besondere für mich dabei.
Unter anderem hat eine liebe Freundin mir einen langen Brief geschrieben, in dem sie erzählt, wie sie Severin kennen und lieben gelernt hat und was es für besondere Momente mit ihm gab. Dadurch ist mir klar geworden, dass viele Menschen Erinnerungen an ihn haben, die ich nicht kenne, die ich aber gerne teilen würde. Also, diejenigen, denen das möglich ist, die Severin kannten und vielleicht etwas aufschreiben möchten, was sie mit ihm erlebt haben oder so, bitte ich mich an ihren Gedanken teilhaben zu lassen und mir zu schreiben. Scheut euch nicht in der Angst nicht die passenden Worte zu finden und habt keine Scheu, wenn auch nicht so positive Gedanken dabei rumkommem. Ehrlichkeit ist mir lieber als Verherrlichung. Aber fühlt euch auch nicht genötigt, es ist nur so ein Gedanke und an diejenigen gerichtet, die damit umgehen können.
Ich werde jetzt erstmal ein paar Tage mit Sinah in unser geliebtes Schröcken fahren und danach sehen wir weiter.